«Japanisierung» Europas?

Marktkommentar, Oktober 2019

«Japanisierung» Europas?

Quantitative geldpolitische Lockerung, sinkende Zinsen, tief bewertete Bankaktien und Finanzrepression – all diese Entwicklungen, die wir in Europa sehen, haben wir in Japan schon vor vielen Jahren erlebt. Die Konklusion ist, dass Cash noch weniger attraktiv wird und ohne diversifizierte Risiken wahrscheinlich kaum positive Renditen möglich sind. 

In der Tat zeigt die derzeitige Entwicklung Europas viele der Merkmale, die wir vor geraumer Zeit in Japan schon einmal erlebten. Dies im Gegensatz zur Entwicklung der USA, die eher eine andere Parallelität durchmachen, die wir im Marktkommentar «1999 und 2019 - ein Zyklusvergleich» vor ein paar Wochen aufgezeigt haben. Bei genauer Analyse kann man wirklich von einer sogenannten «Japanisierung» Europas sprechen. Warum? Japans Erfahrungen liegen zwar einige Zeit zurück, aber die Parallelen mit dem, was wir heute in Europa sehen, sind frappant. Es begann mit der Aktienhausse des Nikkei in den 80-er Jahren, die von den japanischen Bankaktien angeführt wurde und 1990 ihren Höhepunkt erreichte. Die wenig regulierten Banken konnten in der Zeit der vielen Unternehmenstransaktionen ihre Gewinne besonders steigern und waren daher die Publikumslieblinge der Anleger. Dann kam die starke Korrektur und wieder mehr Regulierung, was die Profitabilität der Banken stark behinderte. 

Die Gewichtung japanischer Banken am Gesamtmarkt stieg von rund 5-6 % auf 16 % und sogar 20 % an. Dann korrigierten nicht nur die Gewinne, sondern auch die Bewertungen. Japanische Bankaktien verloren nach einer Phase der Überbewertung enorm, aber nicht auf einen Schlag, sondern über Jahre hinweg schleichend, letztlich rund 90 % vom Höchst. Dazwischen gab es mehrmals Erholungsphasen, die aber wegen der sinkenden Profitabilität nicht lange anhielten. Die Profitabilität sank aus drei Gründen: mehr Eigenkapitalbedarf (sinkende Eigenkapitalrendite), weniger Transaktionen und Eigenhandel und vor allem deutlich sinkende Zinsen. «Fast forward» bzw. rasch vorgespult auf rund 15 Jahre später in Europa: Im Jahre 2007 erreichen die europäischen Bankaktien ihren Höhepunkt dank Transaktionserträgen, vor allem im Investment Banking, sowie guten Zinserträgen dank noch gesundem, nicht zu tiefem Zinsniveau. Danach fielen auch die europäischen Bankaktien rund 80-90 %, unterbrochen von drei Zwischenphasen dank wieder steigenden Zinsen, aber strukturell belastet wegen stärkerer Regulierung, Kapitalerfordernissen und daher längerfristig tieferer Bewertung – genau wie zuvor in Japan.

«Japan hat gezeigt: Der Preis der Finanzrepression sind viel volatilere Finanzmärkte für viele Jahre.»

Gérard Piasko, Chief Investment Officer

Auch in Europa stieg die Gewichtung von Finanzaktien am Gesamtmarkt auf rund 20 % kurz vor der Finanzkrise und fiel seither stetig. Weil aber im Gegensatz zu den USA keine anderen innovativen Sektoren wie Technologie/Kommunikation starkes Wachstum und gute Profitabilität zeigten, konnte auch der europäische Aktienindex Eurostoxx sein Höchst vom Jahr 2000 und etwas darunter vom Jahr 2007 seither nicht mehr erreichen – ähnlich wie der japanische Nikkei sein Höchst von 1990 nicht mehr erreichen konnte. Dies steht im Gegensatz zum innovationsgetriebenen Höchst des amerikanischen Aktienindex S&P 500, der in den letzten Jahren immer wieder neue Rekorde brechen konnte – eben wegen der guten Profitabilität seiner führenden Sektoren Kommunikation und Technologie, die klar das höchste Gewicht im amerikanischen Aktienindex haben. Japan musste über 10 Jahre nach dem Nikkei-Höchst nach vielen Leitzinssenkungen zur Konjunkturstimulierung auf eine quantitative Zinslockerung umschwenken. Dies bedeutet, dass zur Senkung der länger laufenden Marktzinsen, also der Obligationenrenditen, staatlich verordnete Kaufprogramme von Anleihen der Zentralbank einsetzten. Als der Erfolg gering war, wurden sogar Aktienkaufprogramme begonnen. Fazit war, dass zwar der Erfolg der Konjunktur-Stimulierung nicht wirklich überzeugte, aber es sich für diejenigen Anleger, die aus Cash mehr in einen Mix aus Obligationen und Aktien investierten, durchaus lohnte, weil die Zentralbank-Kaufprogramme die Anlageklasse Cash weniger attraktiv machten und zudem direkte Nachfrage nach anderen Anlageklassen auslösten. Auch die japanischen institutionellen Investoren, z. B. Pensionskassen, erhöhten ihren Aktienanteil und kauften mehr Unternehmensanleihen, um eine inflationsbereinigt nicht negative Rendite zu erhalten. 

Seit dem Jahr 2015 ist diese quantitative monetäre Lockerung («Quantitatives Easing» oder QE genannt) auch für die Europäische Zentralbank kein Fremdwort mehr. Vor wenigen Wochen gab die EZB bekannt, dass ein neues QE bzw. Kaufprogramm für Wertschriften im November gestartet wird, im Umfang von 20 Mia. Euro und interessanterweise nicht wie zuvor zeitlich begrenzt! In Japan fiel die Benchmark-Rendite 10-jähriger Regierungsobligationen im Jahre 1997 erstmals unter die 2 %-Grenze und die Inflation erreichte abgesehen von 2014 seit der Finanzkrise nie mehr die erwünschte 2 % Marke, gegenwärtig liegt sie bei rund 0 %. Auch in der Eurozone fiel die Inflation seit der Krise 2011/12 von der angestrebten 2 % immer weiter nach unten und liegt nun um 1 %. Die Benchmark-Rendite 10-jähriger deutscher Bundesanleihen fiel 2012 erstmals unter 2 % und ist nun unter 0 %. Was ist die Konklusion fortgesetzter staatlicher Kaufprogramme von Wertschriften nach dem Beispiel Japans durch die EZB? Einerseits Finanzrepression, was bedeutet, dass wer sich verschuldet, z. B. zwecks Wertschriften- oder Wohnungskauf, profitiert. Wer aber versucht mittels Liquidität bzw. Cash zu sparen, kann kaum mehr auf eine nach Inflation positive Rendite kommen. Institutionelle Investoren werden diversifiziert mehr Risiken eingehen müssen, um noch positive Renditen zu erhalten, zum Beispiel mittels Immobilien, Unternehmensanleihen oder Aktien. Sie werden zwischenzeitlich aber auch einmal Gewinne mitnehmen müssen, um die wegen der Finanzrepression wohl wieder steigende Volatilität auszunutzen. Auch private Investoren werden erkennen, dass ohne Risiko positive Renditen nicht mehr möglich sind: Der Preis der Finanzrepression sind viel volatilere Finanzmärkte – in allen Anlageklassen und wohl für viele Jahre.
 

Gérard Piasko

Gérard Piasko

Gérard Piasko leitet als CIO das Anlagekomitee der Privatbank Maerki Baumann & Co. AG. Zuvor war er über viele Jahre CIO bei Julius Baer, bei Sal. Oppenheim und bei der Deutschen Bank.

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Redaktionsschluss: 4. Oktober  2019

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